Demenzsensible Architektur

Angesichts des demografischen Wandels und der steigenden Zahl von Menschen mit Demenz wird es zunehmend erforderlich, dass Gesundheitseinrichtungen die spezifischen Bedürfnisse dieser Patientengruppe berücksichtigen. Die Klinik Arlesheim hat bereits seit der Planungsphase ihres neuen Klinikgebäudes eine nachhaltige und innovative Umgebung konzipiert, die diese Aspekte in der architektonischen Umsetzung mit einbezieht.

Im Gesundheitswesen ist es immer wichtiger, auf die tendenziell wachsende Patientengruppe von Menschen mit Demenz einzugehen und die damit verbundenen Herausforderungen in den Arbeitsalltag zu integrieren.

Dabei wird den betroffenen Patient:innen, aber auch allen anderen Menschen Sicherheit und Orientierung geboten, was dem ganzheitlichen Ansatz der Anthroposophischen Medizin und Pflege entgegen kommt und unmittelbar Auswirkungen auf das Wohlbefinden und somit auch auf den Genesungsprozess hat.

Claudia Kramer (Mitarbeitende Marketing und Kommunikation) führt im Folgenden ein Interview mit Sonja Widmer, einem Mitglied der Steuerungsgruppe (STG) der Klinik Arlesheim. Erhalten Sie hierbei Einblicke in die Arbeit rund um die Heilende Architektur und Demenzsensible Architektur. Erfahren Sie mehr über die zukunftsweisende Studie zu kognitiven Störungen und Demenz in Allgemeinkrankenhäusern, die mitunter die Klinik zur verstärkten Beschäftigung mit dem Thema motiviert hat.

Entdecken Sie die Zukunft der Architektur im Gesundheitswesen!

Frau Widmer, was sind Ihre Aufgaben in der STG?

In der Steuerungsgruppe bearbeite ich nicht nur allgemeine Aufgaben, sondern vor allem auch den zeigemässen und für mich persönlich auch unglaublich spannenden Themen der Heilenden Architektur, der Materialisierung und der Demenzsensiblen Architektur. Dabei unterstütze ich unseren geschätzten Projektleiter Mehmet Gecici und stehe ihm bei verschiedenen Fragestellungen zur Seite. Meine Aufgabe ist es unter anderem, Strukturen zu schaffen, um sicherzustellen, dass wir trotz der vielschichtigen kleinen und großen Herausforderungen stets den Überblick behalten.
Bereits im Vorprojekt habe ich die Makroprozesse koordiniert und kann somit den Erkenntnisgewinn unmittelbar in unsere Aufgaben einfliessen lassen.

Was bedeutet das: Heilende Architektur? Architektur, die heilt?

Diese Bauweise entspricht ganz den Werten und Vorstellungen einer ganzheitlichen Medizin. Ich würde es jedoch folgendermassen ausdrücken: Heilende Architektur unterstützt den Heilungsprozess und ist somit ein wichtiger Aspekt im Gesundungsprozess. Die Architektur allein kann wohl nicht heilen, dafür benötigen wir das Engagement unserer Pflegefachpersonen, Ärzte und Therapeuten sowie eine notwendige gesamtheitliche medizinische Betreuung. Dennoch denke ich, dass auch die Bauweise eines Gebäudes eine Wirkung auf den Menschen hat. Wir empfinden eine andere Atmosphäre und ein anderes Wohlbefinden in einem Gebäude mit grosszügigen Fenstern, die den Blick ins Grüne öffnen, im Vergleich zu einem Gebäude mit kleinen Fenstern, die auf eine befahrene Strasse blicken lassen. Welches Gebäude denn nun schöner oder besser ist, spielt dabei noch gar keine Rolle.
Bei der Heilenden Architektur geht es um verschiedene Aspekte wie die umhüllende Umgebung, die Raumakustik, den Ausblick, die Baustoffe, den Geruch, das Tageslicht und das Farbkonzept. Diese Faktoren wirken unterstützend auf den Organismus und den Genesungsprozess.

«Heilende Architektur führt zu einer klaren Orientierung und trägt nachhaltig zur Reduzierung von Stressreaktionen bei Patient:innen, Mitarbeitenden und Besucher:innen bei.»

Wie hängt das mit der Demenzsensiblen Architektur zusammen? 

In unserer Wahrnehmung sind die Prinzipien der Heilenden Architektur übergeordnet, während die Demenzsensible Architektur einen spezifischen Teilbereich darstellt. Die Ziele beider Ansätze können sich überschneiden, jedoch sind die Massnahmen der Demenzsensiblen Architektur spezifisch auf Menschen mit Demenz und kognitiven Störungen abgestimmt.

Wie kam es dazu, dass sich die Klinik mit diesem Thema auseinandergesetzt hat?

In Baden-Württemberg und Bayern wurde eine repräsentative und wegweisende Studie zu kognitiven Störungen und Demenz in Allgemeinkrankenhäusern durchgeführt, die durchaus auch auf die Krankenhäuser in der Schweiz übertragen werden kann. In der Studie wurde festgestellt, dass immer mehr ältere Patienten auch mit der Nebendiagnose Demenz zu versorgen sind. Wenn wir die Zahlen betrachten wird deutlich, dass über die Hälfte der Patienten über 65 Jahre alt sind, wobei 40% dieser Gruppe an kognitiven Störungen und Demenzen leiden. Erstaunlicherweise war bei gut zwei Dritteln dieser Patienten die Demenzerkrankungen vor ihrem Krankenhausaufenthalt völlig unbekannt.
Als ich von dieser bahnbrechenden Studie gehört habe, bin ich mit dem Thema sofort in Resonanz getreten, denn das Thema Orientierung beschäftigt mich schon lange. Vor einigen Jahren habe ich das Weiterbildungsmodul CAS Gebäudemanagement an der Fachhochschule absolviert und meine Abschlussarbeit zum Thema «Orientierung in Alterszentren» verfasst. Diese Erfahrung bildete für mich eine solide Grundlage, die Problemstellungen für die Klinik Arlesheim zu formulieren und das Thema zunächst in der Steuerungsgruppe zu diskutieren. Später wurde der Auftrag zur Berücksichtigung der Demenzsensiblen Architektur vom Bauausschuss an die Architekten vergeben. Es ist von enormer Bedeutung, bereits in einem frühen Stadium des Projekts die Demenzsensible Architektur bzw. die Frage der Orientierung zu starten, damit gewisse Grundsätze von Anfang an baulich umgesetzt werden können. Eine gute Signaletik ist am Schluss «nur» noch das Sahnehäubchen.

Was bewirkt die Demenzsensible Architektur? 

Es gibt kein allgemeingültiges Rezept von Ursache und Wirkung, sondern vielmehr ist es die Gesamtwahrnehmung, die hier angesprochen wird. Mit zunehmendem Alter schwindet die differenzierte Wahrnehmung, und genau deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, eine Architektur zu erschaffen, die vor allem Sicherheit, Orientierung und Behaglichkeit bietet. Die Einschränkungen bei Menschen mit Demenz sind so vielfältig wie wir Menschen selbst. Sie können die Mobilität, Kraft, Beweglichkeit, Sinneswahrnehmung wie Sehen, Hören, Riechen usw. beeinflussen und auch das Gedächtnis, die Reaktion und Koordination beeinträchtigen. 

«Dies erfordert innovative Gestaltungs- und Orientierungsprinzipien, die Menschen mit Demenz dabei unterstützen, Räume, Gegenstände, andere Menschen sowie die Tages- und Jahreszeit einfacher wahrzunehmen und Situationen besser einzuschätzen.»

Die Veränderung der Umgebung, wie sie beispielsweise bei einer Einweisung ins Spital auftritt, stört den gewohnten Ablauf insbesondere von Menschen mit Demenz drastisch, so dass dabei eine unmittelbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes auftreten kann. Durch gezielte bauliche Massnahmen und eine sorgfältige Materialauswahl wird diese Verschlechterung aufgefangen oder sogar deutlich reduziert. Dabei spielt der Einsatz von Holz in unserem Projekt eine herausragende Rolle. Dieses natürliche und naturbelassene Material vermittelt von Natur aus ein Gefühl von Behaglichkeit und Sicherheit, das sich positiv auf das Wohlbefinden und die Genesung der Patienten auswirkt.

In welcher Form wird am Konzept der Demenzsensiblen Architektur gearbeitet? 

Wir haben eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich damit befasst, die Grundprinzipien der Demenzsensiblen Architektur zu erarbeiten und entsprechende Massnahmen aus zu formulieren. Mit dabei sind zwei Personen aus dem Architektenteam – Yaike Dunselmann für die Organische und Heilende Architektur und Manuela Knecht als erfahrene Spitalplanerin – und zwei Personen aus der Steuerungsgruppe – Mehmet Gecici als Projektleiter sowie meine Wenigkeit. Parallel dazu und nahezu in derselben Zusammensetzung wird auch das Materialisierungs- und Signaletikkonzept erarbeitet. Da es viele Überschneidungen und Abhängigkeiten zwischen diesen drei Themenbereichen gibt, werden wir am Schluss ein Konzept daraus entwickeln und umsetzen.

Im Konzept Demenzsensible Architektur hat die Arbeitsgruppe drei Schwerpunkte festgelegt:

  1. Empfangssituationen, insbesondere am Hauptempfang, wenn Patient:innen das Gebäude betreten und alles für sie neu ist
  2. Patientenzimmer, da diese den längsten Aufenthaltszeitraum für (sehr) kranke Patient:innen darstellen. Bedenkt man, dass Patienten in diesen Räumen manchmal in einem (teilweisen) deliranten Zustand sind, wird deutlich, wie wichtig eine geeignete Gestaltung und Atmosphäre hier sind.
  3. Orientierung und Signaletik im Gebäude, da viele Patienten oft unbegleitet unterwegs sind. Eine intuitive Orientierung und klare Beschilderung tragen maßgeblich zur Sicherheit bei.

Gibt es noch weitere wichtige Informationen, die Sie mit uns teilen möchten?

Aus meiner Sicht gäbe noch viele erkenntnisreiche Berichte zu diesen Themen, zum Beispiel darüber, weshalb kognitives Kartieren eine entscheidende Rolle für die Orientierung spielt und wie dabei die Demenzsensible Architektur eine wertvolle Hilfestellung bieten kann.

Das klingt unglaublich spannend, Frau Widmer. Sicherlich würde die Leserschaft interessieren, wie genau kognitives Kartieren in einer Gesundheitseinrichtung wie dieser zu verstehen ist. 

Sehr gerne nehme ich mir in einem Folgeinterview Zeit, weiter darüber zu informieren. Bei dieser Gelegenheit werden ich gerne weitere Fragen klären, wie: Welche Massnahmen ergreifen wir, um die Toilette im Patientenzimmer sichtbar zu machen und warum ist das so wichtig? Wie sehen die «guten» Symbole für die Signaletik konkret aus? Welche Massnahmen ergreifen wir, damit die Wege klar sind? Nun habe ich Sie hoffentlich neugierig gemacht, gerne erzähle ich in Kürze mehr. [Schaut auf die Uhr]. Nun muss ich an die nächste Bausitzung.

Bitte beschreiben Sie zuletzt noch den anstehenden Neubau in drei Worten:

Heilende Architektur, Licht im Herzen, evidenzbasiert.

Frau Widmer, wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Termin und freuen uns demnächst wieder vorn Ihnen zu hören. Herzlichen Dank für dieses spannende Interview. 

Herzlichen Dank auch an Sie.

«In Zukunft sollte es selbstverständlich sein, bei Bauprojekten die Aspekte der Demenzsensiblen Architektur zu berücksichtigen – genau so, wie es z.B. heute mit der SIA Norm 500 hindernisfreies Bauen ist. Aus diesem Grund sind Umsetzungsbeispiele im Gesundheitswesen von hohem Wert und zielführend.»

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